RNA-Therapien
Hat der Wirkstoff erst einmal die richtige Zelle gefunden, dringt er in sie ein und installiert sich automatisch. In der Folgezeit kann das Medikament ohne Unterbrechung über einen monatelangen Zeitraum die entsprechenden RNA-Anweisungen löschen. RNA-Therapien werden in der Regel als Injektionen formuliert. Weil die Wirkung der bislang zugelassenen Medikamente länger anhält, werden sie über mehrmonatige Intervalle verabreicht.
Die ersten zugelassenen RNA-basierten Medikamente greifen auf zwei verschiedene Wirkmechanismen zurück, um die Verwendung eines bestimmten Gens für die Proteinbildung (Expression) zu unterdrücken. Bei der Antisense-Technologie werden einzelsträngige kurzkettige Nukleinsäuren, sogenannte Antisense-Oligonukleotide, verwendet, um ein krankheitsrelevantes Protein zu identifizieren und auszuschalten. Zu den Pionieren zählt die US-Biotechfirma Ionis Pharmaceuticals, die seit Jahren eine der Kernbeteiligungen im Portfolio von BB Biotech ist.
Die «small interfering RNA», kurz siRNA, benutzt doppelsträngige RNA-Moleküle, um die Funktion von spezifischen Proteinen stilllegen. Unsere langjährige Beteiligung Alnylam Pharmaceuticals hat sich in diesem Bereich als Vorreiter etabliert und vier Produkte gegen einzelne seltene erblich bedingte Krankheiten auf den Markt gebracht.
Beim Einsatz der sogenannten Boten-RNA (engl. messenger RNA, kurz mRNA) als therapeutische RNA geht es im Gegensatz darum, gewisse Proteine gezielt zu produzieren. Den grossen kommerziellen Durchbruch schaffte die mRNA-Technologie mit der Entwicklung und Marktzulassung von COVID-19-Impfstoffen im Zeitraum von weniger als einem Jahr. Hierbei wird das Immunsystem darauf trainiert, virale Proteine zu erkennen und körpereigene Schutzmassnahmen einzuleiten.
Die zwei von Moderna und Pfizer/BioNTech entwickelten COVID-19-Vakzine haben sich dank ihres hohen Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprofils als die führenden Impfstoffe bei der Eindämmung der Coronapandemie etabliert. Moderna testet unter anderem zehn weitere mRNA-Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten wie Grippe, RSV und Zytomegalievirus in klinischen Studien. Insgesamt sieben Medikamente auf der Grundlage der Antisense- und siRNA-Technologie haben bislang die Marktzulassung erhalten. Diese Produkte kommen gegen unterschiedliche seltene Erkrankungen zum Einsatz. Dabei handelt es sich um Krankheiten, bei denen ein genetisch bedingter Mangel oder Defekt an bestimmten Enzymen oder Proteinen zu schweren und häufig lebensbedrohlichen Gesundheitsschäden führt. Schätzungsweise bis zu 8000 solcher Orphan Diseases existieren weltweit. Je nach Krankheit sind davon einige Hundert bis zu mehrere Zehntausend Personen betroffen.
Die Marktzulassung der COVID-19-Vakzine hat den Übergang in eine neue Marktphase eingeleitet, bei der sich das Einsatzspektrum von RNA-Arzneien auf Krankheitsfelder erweitern wird, von denen eine grössere Patientenzahl betroffen ist. Dazu zählen Arzneien gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die den Cholesterinspiegel senken oder die Auswirkungen von Herzinfarkten vermindern, aber auch gegen Stoffwechselerkrankungen oder Organfibrosen. Ein weiteres Feld sind die mRNA-Krebstherapien. Hier geht es darum, dem Immunsystem beizubringen, Tumorzellen im Körper zu erkennen. Deren spezielle Oberfläche unterscheidet sich teilweise von Mensch zu Mensch. Mithilfe einer individuell angepassten mRNA kann der Organismus lernen, wie der eigene Tumor aussieht, und ihn dann zerstören, ehe er sich ausbreitet.